
Margit
Schötschel
Bildhauerin und Pionierin der Kreativarbeit mit Menschen mit Behinderung, 1933 – 2017
FrauenOrt in Bernau bei Berlin
Unbeirrbar, erfindungsreich, menschenfreundlich. Margit Schötschel setzte sich in der männlich dominierten Bildhauerei durch, schuf Bronzekunstwerke im öffentlichen Raum und entwickelte die Kreativarbeit mit Menschen mit Behinderung.
Margit Schötschel
Margit Gabriel wird am 26. März 1933 in Berlin-Weißensee in eine bürgerliche, christliche Familie geboren. Ihre Mutter erzieht sie und ihre beiden Brüder nach dem Tod des Vaters allein. Soziales Engagement und kreative Berufung prägen ihr Leben. Margit Schötschel lernt Erzieherin, zeichnet und modelliert. Sie will Kulturschaffende werden, sucht nach künstlerischem Ausdruck und lernt auf einer Ausstellung den Bildhauer Friedrich Schötschel kennen und lieben. Sie bewirbt sich an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, studiert als eine der ersten Frauen Bildhauerei und schließt 1960 mit Diplom ab. Im gleichen Jahr heiratet sie Friedrich Schötschel. 1964 zieht sie mit ihm und den zwei Söhnen nach Biesenthal.
Erfolg als Bildhauerin
Als Kulturschaffende mit Eigensinn arbeitet die freischaffende Bildhauerin in der DDR. Sie macht sich einen Namen als Künstlerin und erschafft Bronzeplastiken vor allem von Tieren und Menschen für Parks, Gebäude und öffentliche Plätze.
Sie beobachtet feinsinnig, fängt die Bewegungen von Menschen und Tieren ein. Als Individuum dargestellt oder zu einer Gruppe verbunden, schafft Schötschel Plastiken, die Dynamik und Ruhe ausstrahlen.
Ihre Skulptur „Familie“ ist eine dieser Figuren, die seit 1977 in Bernau bei Berlin steht. Vater, Mutter und Kind wenden sich liebevoll einander zu. Sie bilden eine Einheit und beanspruchen dennoch ihren eigenen Raum.
Kreativbegleiterin
„Der Prozess der Kreativität ist wichtiger als das Werk.“
Margit Schötschel
Ihrer Zeit voraus baut Margit Schötschel ab 1969 die Kreative Werkstatt für Menschen mit Behinderung in der diakonischen Einrichtung „Hoffnungstaler Anstalten Lobetal“ auf. Über 40 Jahre bleibt sie dieser kunstschaffenden Arbeit verbunden. Behinderung war für Schötschel kein Defizit, sondern Besonderheit. Sie arbeitet mit den intellektuell beeinträchtigten Menschen wie mit allen anderen Kunstschaffenden. Margit Schötschel ermöglicht ihnen Erfahrungen und fördert ihr kreatives Schaffen: Sie gehen in den Zoo, beobachten Lamas, Bären, Pfauen, betrachten eine Kuh auf einer Wiese, erkunden Blumen, Blätter, Fahrräder, Büroklammern – und sind selbstständig kreativ, skizzieren, zeichnen, modellieren.
Jedes Erlebnis bringt Werke hervor, es stärkt das Selbstbewusstsein der Menschen mit Behinderung. Sie trauen sich sogar zu, Büsten zu schaffen. Margit Schötschel lässt sich auf die schwierige Bildhauerarbeit ein, findet einen Weg mit den 39 Männern mit Behinderung einzeln und in kleinen Gruppen den langwierigen kreativen Prozess zu einem Erfolg zu bringen. Als staatlich anerkannte Bildhauerin gelingt es ihr, Gussbronze in der planwirtschaftlich organisierten DDR zu besorgen. Nach zwei Jahren sind 39 „Köpfe“ fertig und beeindrucken bis heute europaweit auf Ausstellungen.
Mit Ende der DDR brechen künstlerische Staatsaufträge für sie als Bildhauerin weg. Margit Schötschel konzentriert sich auf die kreativ-künstlerische Arbeit mit den Menschen in der Kreativen Werkstatt in Lobetal. Ihre jahrzehntelange Erfahrung in der Kunsttherapie gibt sie als Lehrende an der Fachschule für Heilerziehungspflege weiter.
„Gestaltungswille kann sich von Lebensumständen frei machen und eine fruchtbare Arbeitsatmosphäre bedarf keines aufwendigen Ateliers.“
Margit Schötschel
Als Galeristin zeigen, was Kunst ist
Margit Schötschel hilft nicht nur Künstler*innen mit Behinderung, kreative Werke zu schaffen, sie stellt die Kunst auch aus. Überzeugt, dass die Kreativität sichtbar gemacht werden muss, findet Margit Schötschel entsprechende Räume. Und die Werke finden ihr Publikum in Bernau bei Berlin, in Berlin, Straßburg, Dänemark, Frankreich.
Schötschel ist als Galeristin eine Pionierin. Sie zeigt Außenseiterkunst, die frei von akademischen Regeln außerhalb des Kunstbetriebs entsteht. Und nimmt vorweg, was die UN in der Behindertenrechtskonvention 2006 definieren: Teilhabe – auch in der Kunst.
Auch ihr Engagement als Galeristin wirkt nach. Im September 1989 eröffnet sie mit 17 weiteren Künstler*innen die kommunale Galerie Bernau, die als letzte nicht-kommerzielle Galerie aus DDR-Zeiten noch heute ein überregional bedeutsamer Ausstellungsort in Brandenburg ist. Immer für die Kunst im Einsatz, gründet Schötschel 1990 mit weiteren Kunstaktiven den Förderkreis Bildende Kunst Bernau e.V. als ersten Kunstverein Brandenburgs nach der Wende.
„Hast du schon ausgestellt? Ich schon!“
Horst Eitner, Lobetaler Künstler
FrauenOrt Margit Schötschel in Bernau bei Berlin
Hermann-Duncker-Straße/Ecke Gorkistraße, 16321 Bernau bei Berlin, Standort der Plastik „Familie“ von Margit Schötschel
52.684671, 13.595856 / Google Maps / Open StreetMap
Weiterführende Links, Literatur & Podcast
Herbert Schirmer (2015): Margit Schötschel, in: Infopunkt Kunst (Hrsg.): 38 Künstler im Barnim, Berlin
Margit Schötschel (2005): Bilder aus der Kreativen Werkstatt Lobetal“, Manuskript Archiv Hoffnungstaler Stiftung Lobetal
Downloads
FrauenOrte Tafel für Margit Schötschel mit Leichter Sprache (PDF)


