Johanna Elberskirchen
Frauen- und Homosexuellenrechtlerin, 1864 – 1943
FrauenOrt in Rüdersdorf bei Berlin
Lesbisch, feministisch, links. Johanna Elberskirchen war Teil verschiedener Bewegungen und setzte sich zwischen alle Stühle. Als eine der ganz wenigen Frauen stand sie schon um 1900 offen zu ihrem Begehren. Energisch und polemisch wetterte sie gegen männliche Vorherrschaft und heterosexuelle Gewalt.
Johanna Elberskirchen
Johanna Elberskirchen wurde 1864 in Bonn geboren. Obwohl sie öfter die Schule schwänzte, galt sie als wissensdurstig und durfte eine höhere Töchterschule besuchen. 1891 ging sie zum Studieren in die Schweiz, wo die Universität, anders als in Deutschland, auch Frauen offenstand. Sie studierte Medizin, VWL und Jura in Zürich und Bern, konnte das Studium jedoch aus finanziellen und politischen Gründen nicht abschließen.
Umzüge und Veränderungen kennzeichneten ihr Leben. Sie arbeitete als Buchhalterin, Autorin und Vortragende, als Naturärztin, Säuglingspflegerin und schließlich als selbstständige Homöopathin. Sie lebte in Bonn, Bern und Zürich, in Berlin, Stettin und Rüdersdorf. Sie engagierte sich für die Sozialdemokratie, in der Frauenstimmrechts- und in der Homosexuellenbewegung.
Feministische Autorin
Johanna Elberskirchen veröffentlichte zahlreiche Artikel und Bücher. Die sexistische und antifeministische Schrift „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ des Neurologen Paul Julius Möbius beantwortete sie mit der vermutlich schärfsten Replik ihrer Zeit.
Überhaupt schreckte sie nicht davor zurück, Leute zu verärgern. In der Schweiz wurde sie schließlich steckbrieflich gesucht – weil sie sich in den Scheidungsprozess ihrer damaligen Lebensgefährtin Anna Aebi-Eysoldt eingemischt hatte.
Mehrere ihrer Bücher richteten sich aufklärend-belehrend an Frauen und Mütter. Darin finden sich auch nationalistisch-eugenische Töne. In dieser Hinsicht folgte Johanna Elberskirchen dem Zeitgeist, der mit dem Narrativ des „gesunden Volkskörpers“ den Boden für die eugenischen Verbrechen der Nationalsozialist*innen bereitete.
Aktivistin zwischen den Stühlen
Johanna Elberskirchen kämpfte für Frauenrechte, für soziale Gerechtigkeit und für die Rechte von Homosexuellen. Von bürgerlichen Feministinnen forderte sie klassenübergreifende Solidarität. Von Sozialdemokrat*innen einen kritischen Umgang mit dem Patriarchat.
„Feministisch sein heißt keineswegs un à tout prix ein Recht für eine kleine Anzahl Frauen auf Kosten der anderen Frauen ergattern zu wollen – feministisch sein, das heißt immer nur für Gesamt-Befreiung des gesamten weiblichen Geschlechts kämpfen.“
Johanna Elberskirchen (1)
Seit den 1890er Jahren war Johanna Elberskirchen in der SPD aktiv. Als eine Vergewaltigung innerhalb der Partei von vielen Genoss*innen gedeckt wurde, schrieb sie eine flammende Schrift gegen das „System sexueller Ausbeutung“ in der Sozialdemokratie. Seit 1902 zurück in Bonn, engagierte sie sich parallel auch im Preußischen Landesverein für das Frauenstimmrecht. Der war den Genoss*innen zu bürgerlich, oder war Elberskirchen einfach zu unbequem? 1913 wurde sie aus der SPD ausgeschlossen.
Sexualwissenschaftlerin
Innerhalb der Frauenbewegung war Elberskirchen eine der wenigen, die sich offen dazu bekannte, Frauen zu lieben. Und die sich lautstark in den um 1900 verstärkt geführten sexualwissenschaftlichen Diskursen um Geschlecht und Begehren einmischte. Sie war „Obmann“ des wissenschaftlich-humanitären Komitees, das sich seit 1897 für die Abschaffung des §175 einsetzte. Ab 1920 hielt sie Vorträge auf den internationalen Konferenzen der Weltliga für Sexualreform und reiste dafür nach Kopenhagen, London und Wien.
Obwohl ohne universitären Abschluss, formulierte Johanna Elberskirchen eigene Thesen zu geschlechtlicher und sexueller Identität, die damals auch unter dem Begriff des „Dritten Geschlechts“ verhandelt wurden. Dabei kritisierte sie die zeitgenössische „Mannweiber“-Theorie, die lesbischen Frauen ein Übermaß an männlichen Anteilen unterstellte. Einiges, was Ende der 1990er Jahre als Queer Theory entwickelt wurde, wurde von ihr schon einmal mit anderen Worten gefasst.
„Sind wir Frauen der Emanzipation homosexual – nun dann lasse man uns doch! Dann sind wir es doch mit gutem Recht. Wen geht’s an? Doch nur die, die es sind. Die sich mit ihrer Annormalität abzufinden haben, wie die anderen mit ihrer Normalität.“
Johanna Elberskirchen (1)
Die letzten Jahre in Rüdersdorf
Die letzte Phase ihres Lebens verbrachte Johanna Elberskirchen mit ihrer damaligen Lebensgefährtin in Rüdersdorf bei Berlin. Die 30 Jahre jüngere Hildegard Moniac war Gewerbeschullehrerin in Berlin. Johanna selbst eröffnete in Rüdersdorf eine homöopathische Privatpraxis und trat erneut in die SPD ein. Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialist*innen verlor sie die Möglichkeit zu publizieren, Hildegard Moniac wurde als „politisch unzuverlässig“ aus dem Schuldienst ausgeschlossen. Die finanzielle Situation wurde zunehmend schwierig.
Johanna Elberskirchen starb 1943 im Alter von 79 Jahren. Ihre Urne wurde über 30 Jahre später heimlich im Grab von Hildegard Moniac beigesetzt. Auf dem Friedhof in Rüdersdorf und an verschiedenen anderen Orten erinnern heute Gedenktafeln an die beiden Frauen und an das Werk von Johanna Elberskirchen.
FrauenOrte Johanna Elberskirchen in Rüdersdorf
In Kooperation mit der Gemeinde Rüdersdorf binden wir mit dem digitalen FrauenOrt Johanna Elberskirchen die zwei vor Ort bereits bestehenden Gedenktafeln in das Projekt „FrauenOrte“ ein:
FrauenOrt 1:
Gedenktafel für Johanna Elberskirchen, aufgestellt auf Initiative des SPD-Ortsvereins nahe der heutigen Rudolf-Breitscheid-Straße 57, oberes Ende der Rudolf-Lübke-Brücke, Wohnort von Johanna Elberskirchen
52°28’04.4″N 13°47’16.9″E / Google Maps / OpenStreetMap
FrauenOrt 2:
Gedenktafeln für Hildegard Moniac und Johanna Elberskirchen an deren Gemeinschaftsgrab, aufgestellt auf Initiative von Christiane Leidinger Friedhof Rudolf-Breitscheid-Straße 86, 15562 Rüdersdorf
52°28’16.8″N 13°47’55.6″E / Google Maps / OpenStreetMap
Weiterführende Links & Literatur
Christiane Leidinger (2024): Johanna Elberskirchen, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
Christiane Leidinger (2008): Keine Tochter aus gutem Hause. Johanna Elberskirchen (1864-1943), UVK Verlag
FrauenOrte NRW (2024): Johanna Elberskirchen
Downloads
Foto der Gedenktafel für Johanna Elberskirchen an der Rudolf-Lübke-Brücke
Foto der Gedenktafeln für Hildegard Moniac und Johanna Elberskirchen auf dem Friedhof
Fußnoten & Quellenangaben
- Elberskirchen, Johanna (1904): Was hat der Mann aus Weib, Kind und sich gemacht? : Revolution und Erlösung des Weibes ; eine Abrechnung mit dem Mann – ein Wegweiser in die Zukunft! – Berlin : Magazin-Verl., S. 3 – 11.